Wes Kind ich bin

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Wes Kind ich bin

 

Geboren wurde ich drei Wochen zu früh

In Vollnarkose, das ging wohl hott hü

Mein Vater sass währenddem schick beim Dinner

Wickelte klotzige Kunden um den Finger

 

Obwohl Mama noch sagt: Heute kommt’s, Mensch, freu dich

Doch bei uns kam noch überhaupt kein Kind zeitig

Bei dem Dinner ging’s ausserdem um viel Geld

Und für ihn reimte Geld sich schon immer auf Held

 

Was ich sagen will: Weil die Geburtszeit keiner kennt

Weiss ich auch nicht meinen Aszendent

Und daher rührt zweifellos mein Problem

Ich konnte mich nämlich nie scharf sehen

 

Am liebsten wäre ich ja Schütze

Ein Knall, der Apfel fällt von der Mütze

Aber Mama sagt, nein, das wäre um eins

Da sass ich erst im Taxi, dann wärst du nicht meins

 

Das brachte mich auf ganz neue Gedanken

Denn sie sahen uns Kinder als Ärzte oder in Banken

Hauptsache Kohle, und ich dachte schon immer

Wenn so meine Eltern sind, schlimmer geht’s nimmer

 

Entsprechend ist meine Existenz heut verkracht

Also wir alle drei haben es zu nichts gebracht

Bei mir aber kam erschwerend dazu

Dass ich von klein auf schrie: Mensch, lasst mich in Ruh

 

Ich mache hier mein ganz eigenes Ding

Noch nicht so wie jetzt, wo ich ja sing

Ne, damals war’s Krach mit dem Saxofon

Auch am Theater war ich schon

 

Mit vierzehn, fünfzehn, voll experimentell

Das gehörte sich so, das bewies, man war hell

Und meine Mutter entsprechend erschüttert

Für sowas habe ich dich nicht durchgefüttert

 

Bis der Applaus kam, der schmierte wie Butter

Gleich pflanzt sie sich auf: Ich bin die Mutter

Während Papa meine Texte korrigierte

Ungefragt. Und schon mal spekulierte

 

Was so ein Künstlerdasein maximal abwirft

Ich hör noch, wie er mit den Zähnen knirscht

Profit null nichts. Was stellst du dir vor?

Willst du ums Verrecken Kunst, sing mit Mama im Chor.

 

Da war ich sogar, wenn auch nur kurz

Weil … aber das ist jetzt wirklich schnurz

Die wesentlichen Fragen sind ganz andere

Vor allem: Warum ich so durchs Leben wandere

 

So und nicht anders, ist da eine Linie

Und warum? Ha, warum ist ein Lauch keine Pinie

Blöde Frage, Und doch:  Wo komm ich her

Aus Mama, in Narkose? Da ist doch hoffentlich noch mehr

 

Und: Wann genau fängt dein Leben an

Wenn man so überhaupt reden kann

Buddhistisch gesehen ist das Leben ja ewig

Schlüpft von Körper zu Körper, einmal leb ich

 

Als Strassendirne im alten Rom

Einmal als Nachtfalter im Kölner Dom

Aber auch da stellt sich die Frage

Verbindet uns was? Ist unsere Lage

 

Im Kosmos irgendwie vorgegeben

Ich stelle mir vor, wir alle schweben

In je eigenem Winkel, einer Achse

So unabänderlich wie der Laichzug der Lachse

 

Die Körperrotation macht die Achse stabil

Unser Blick auf die Welt ist also nicht volatil

Egal, welches Wesen ich gerade bin

Ich bin immer im selben Blickwinkel drin

 

Und dass ich jetzt hier bin, mit diesem Lied

Ist Teil einer Kette, ich bin ihr Glied

Das Ganze aber ist viel mehr

Ein Kreis, der sich schliesst, die Mitte ist leer